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18.) Alles easy…!

12 Dec

Unser neues Leben am Ende der Welt – Neuseeland  10. Dezember 1999

Heute morgen habe ich meine Massenproduktion an Engeln, muschelbesetzten Bilderrahmen und glitzernden Seeschlangen in einen Koffer gepackt und mit Henry zu Mariannes Shop nach Warkworth gebracht. Sie war begeistert und hat die Souvenirs gleich in ihrem Schaufenster drapiert. Jetzt muessen wir nur noch auf die Touristenbusse aus  Taiwan und Hong Kong warten…

Hier in Neuseeland scheint alles so easy, unkompliziert,  super  freundlich, hilfsbereit und scheinbar ohne Hektik zu sein! Wenn die Leute im Postamt bis zur Tuere Schlange stehen, nutzen sie die Gelegenheit fuer ein Schwaetzchen mit dem Vorder- oder Hintermann (oder –frau). Niemand scheint sich darueber aufzuregen. Geduldig wartet man bis man an der Reihe ist und die Dame von der Post freundlich fragt: “How was your day so far?“ Bin mir noch nicht sicher, ob sie wirklich wissen will, was man schon alles gemacht hat, bevor man zum Postamt gekommen ist oder ob es eine trainierte Freundlichkeitsfloskel ist, die einem suggerieren soll, dass jeder Kunde wichtig ist.

Das erinnert mich wiederum an meine Jugend und die Ausbildung zur Postbeamtin am Schalter fuer benachrichtigte Briefsendungen im Hauptpostamt Koeln. Da sassen wir hinter kugelsicherem Glas (aus gutem Grund!).  Die Kunden in den mehreren parallelen, bis zur Eingangstuere reichenden Schlangen bestanden hauptsaechlich aus Sozialhilfe- und Arbeitslosengeldempfaengern,  Adressaten von Gerichts-Zustellungsurkunden oder sonstigen unerfreulichen, amtlichen  Behoerdenschriftstuecken, die einer besonderen, persoenlichen Aushaendigung gegen Vorlage eines gueltigen Personalausweises bedurften. (Beamtendeutsch – hatte schon fast vergessen, wie sich das anhoert!) Ab und zu war ein Rentner dazwischen, der gerade beim Caritas Kaffeekraenzchen war, als der Brieftraeger vergeblich versuchte, ein anonymes Paeckchen von Beate Uhse zuzustellen. Wenn sich die Postkunden innerhalb der Schlangen erstmal gegenseitig aufgewiegelt und sich darueber geeinigt hatten , dass es eine Zumutung ist, seine  staatliche Unterstuetzung beim Postamt abholen zu  muessen, da man ueberhaupt keine Zeit dafuer hat, weil man definitiv „was besseres zu tun hat“….  –  und wenn sich dann einer von uns staatlich vereidigten  mit Bundesadler beurkundeten Postbeamten im mittleren Dienst erlaubte, nach 7 Stunden BBS (Beschimpfungs- und Beschwerden Schicht) sein Plastikschild „voruebergehend geschlossen“ rauszustellen, um eine wohlverdiente Tasse Kaffee zu trinken in der von der deutschen Postgewerkschaft heiss erkaempften 15 Minuten-Pause, ja dann war die Revolution kurz vor dem Ausbruch und der Sturm auf die Bastille unabwendbar. Und wir waren heilfroh, dass unsere Schalter  Panzerglas gesichert waren!  Und der jenige von uns, der mit seiner Thermoskanne im staubigen Hinterzimmer zwischen grauen Saecken voller Behoerdenpost und Tuermen aus gestapelten Paeckchen von anonymen Versendern sass, traeumte  von der idealen, heilen Welt, in der sich alle Leute gut verstehen, geduldig sind, sich gegenseitig freundlich und respektvoll behandeln und von einem Arbeitsplatz, wo man nicht waehrend seiner amtlichen Pflichterfuellung beschimpft und bedroht wird!

Und da ich von Natur aus ein humorvoller Mensch bin, habe ich mir eines Tages erlaubt, ein winziges Papierschild in meinen Schalter zu haengen (just for fun!), das einen skizierten Gorillakopf mit den Worten: „Wir lieben Sonderwuensche!“ zeigte. Auf diese Weise wurde ich schon im zweiten Ausbildungsjahr mit einem hochofiziellen Eintrag in die Personalakte belohnt, weil sich eine aeltere Dame bereits innerhalb der ersten Stunde meines Aushangs persoenlich beleidigt fuehlte und umgehend das Oberpostministerium informierte! Die Entscheidung, gleich nach „erfolgreichem Abschluss“ meiner humorlosen Ausbildung einen neuen Karrierepfad einzuschlagen, ist mir nicht schwer gefallen!

Und hier bin ich nun mittendrin in der kleinen, heilen Welt, von der ich 1979 hinter schusssicherem Glas im Koelner Postamt getraeumt hatte:   Postamt Orewa in Neuseeland – Henry im Kinderwagen, Schlange bis zur Tuere raus und friedvoll  nutze ich die Zeit, mir in gebrochenem Englisch eine Kurzfassung meines bisherigen Tagesablaufs zurechtzulegen, um die Dame am Postschalter nicht zu enttaeuschen, wenn sie mich fragt, „…and how was your day so far?“

Auch im Cafe um die Ecke wird der Italienische Capuccino, einer nach dem anderen,  liebevoll und geduldig zubereitet. Ohne Stress wird die  bis zur Bauschaum-Konsistenz turbo-aufgeschaeumte Milch mit einem winzigen Loeffelchen in der Tasse zu einem Turm drapiert.  Nach einer Weile ist es nicht mehr peinlich , wenn 27 Leute hinter einem an der Kasse warten. Nein, man gewoehnt sich daran und freut sich darueber, dass keiner schimpft, sonderm mit offenem Mund die Loeffelchen mitzaehlt, bis der weisse Turm auf der Kaffetasse an Antoni Gaudis architektonische Meisterwerke  in Madrid erinnern.  Und dann darf man sich auch noch aussuchen, ob  man Kakaopuder oder Zimt draufgestreut haben moechte. Zur Steigerung der ganzen Zeremonie wird das Pulver anhand einer Schablone als florales Ornament auf dem weissen Turm dekoriert. Es kostet schon etwas Ueberwindung, das ganze Art-Gebilde mit einem Schluck zu zerstoeren und die Fragmente mit der Serviette von Nasenspitze und Kinn zu entfernen.   Das ist Kaffee, den man einfach geniessen muss, auch wenn man ihn vor lauter Schaum und Dekoration in der Tasse kaum findet. Wenn man ihn dann endlich erreicht, ist er so stark, dass er den gesamten Herzrhytmus aus der Bahn wirft. Das legt sich wiederum nach  einer halben Stunde und sobald sich der Herzmuskel wieder entspannt hat, kann man extrem energie-beladen und wie ein batterie-betriebenes rosa Plueschkaninchen weiter seinen Shopping-Aktivitaeten nachgehen.

Mit dem Autofahren klappt es inzwischen auch ganz gut. Mir ist allerdings aufgefallen, dass ueberall die Strassenmarkierungen erneuert werden. Hoffentlich nicht wegen mir!!!

Ab und zu eier ich mal zu weit nach links ins Gruene oder mache einen kleinen Abstecher auf die Gegenfahrbahn. Aber hier ist ja nicht so viel Verkehr, da faellt es kaum auf. Das Ueberschreiten der Mittellinie zur Gegenfahrbahn ist mir persoenlich lieber als das Ausweichen ins Gruene, weil die Abgruende auf der linken Seite oft ins Nichts oder gegen Unendlich gehen und manchmal  schon einen Meter neben der Fahrbahn anfangen. Besonders, wenn ich von Orewa nach Warkworth fahre,  muss ich mich beim Lenken einfach ein bisschen mehr beherrschen.  Auf Supermarkt Parkplaetzen, wenn ich mich  im Geiste noch mal auf meine Einkaufsliste besinne, fahre ich auch schon mal auf der falschen Seite. Aber dann kommt mir immer ein hoeflicher „Geisterfahrer“ entgegen und winkt mich wieder auf die richtige Bahn. Hupen und Schimpfen ist nicht ueblich! Bei meiner gestrigen Tour nach Albany standen ploetzlich ein paar junge Leute links und rechts an der Fahrbahn und winkten mit Taschentuechern. Huch, dachte ich, sind die aber freundlich, jetzt winken sie uns schon zum Empfang.  Aber ein Stueck weiter umfuhren wir den Grund des Winkens. Hier waren sich auch zwei Fahrer nicht einig gewesen, wer von ihnen der Geisterfahrer ist.

Heute nachmittg war ich mit Henry noch bei der Kinderaerztin. Sie war sehr nett und Henry war ein Musterkind. Als sie sein kleines Organ, das ihn von einem Maedchen unterscheidet, untersuchte, hat er laut gelacht!?! Das hat er auch schon selbst als sehr interessantes Spielzeug entdeckt. Jedesmal, wenn ich ihm die Windel wechsele schnappt er sich das Objekt der Begierde mit der llinken Hand, zieht daran und versucht es in seinen Mund zu stecken. Gott sei dank ist die Flexibilitaet und Elastizitaet bestimmter Koerperteile begrenzt und es kommt nicht soweit. Auf diese Art und Weise habe ich aber auch festgestellt, dass Henry (jetzt 5 Monate alt und 7.8kg schwer) vermutlich Linkshaender ist.  Ich hatte keine Ahnung, dass man das schon so frueh sehen kann, aber meine mehr erfahrene Freundin, die vier Kinder hat, nannte mir einen guten Trick, um das rauszufinden. „Halte einfach seine linke Hand fest und sieh, ober er mit der Rechten danach greift????“ Der Test hoerte sich gut an, taugte aber nichts in der Praxis. Als ich eines morgens vor dem Anziehen Henrys linke Hand festhielt, hat er einfach nach rechts aufs Bett gepinkeltl! Soviel zu Theorie und Praxis und Links- oder Rechtshaendern. Wieso wird ein Kind Linkshaender, wenn beide Eltern Rechtshaender sind?  

Zum Abschluss unseres Tages haben wir Sushi gekauft, und es fasziniert mich immer wieder, wie die Japaner den Reis so klebrig machen. Ist auch erstaunlich, was die da so alles reinrollen:  Avocado, Lachs, Huehnchen (natuerlich keine ganzen!), Spargel, Krabben, Gemuese etc. – und das haelt bombenfest!  Dann muss man versuchen, das Roellchen einigermassen elegant mit zwei Holzstaebchen zuerst in die Soya Sauce zu tunken und dann geschickt „into the mouth“ zu jonglieren. Die Suhi Roellchen, die waehrend dieser akrobatischen Versuche unter den Tisch fallen, darf man mit den Fingern wieder aufheben.  Immer offen fuer Neues, habe ich eins der klebrigen Roellchen meisterhaft mit dem Holzwerkzeug in die mitgelieferte, noch gruenere Paste (etwas geizig in der Menge…) getunkt und elegant versucht, ein kleines Haeppchen abzubeissen. Hatte keine Ahnung, was das fuer ein gruenes Teufelszeug ist! Nach 10 Minuten Atemstillstand, Wasserausbruch aus Augen, Nase und anderen Koerperoeffnungen sowie Verbrennungen dritten Grades auf der Zunge und Aetzwunden an der Oberlippe, kam ich wieder zur Besinnung. Einmal zur Hoelle und zurueck! Ich bin mir sicher,  dass man mit dem Zeug auch Rostflecken am Auto entfernen oder Loecher in Eisentraeger brennen kann. Noch sicherer bin ich,  dass ich nie wieder Herpes an der Lippe haben werde. Und falls mein Mund jemals verheilt werde ich beim naechsten Sushi Einkauf dankend ablehnen, wenn mir mit einer freundlicher Geste aus dem Land des Laechelns WASABI angeboten wird!

 

Fortsetzung folgt…

Beate Minderjahn

 

Personal Note:  At least it is summer in New Zealand now, my son Henry graduated from Primary school on Friday, my Kids Christmas craft workshops will finish next week, I have organised my Holiday Art & Craft programme for January and after one more busy week I will soon have some time to prepare for Christmas with my family.  I am really looking forward to go to the beach with Henry,  going for long walks, starting my goal setting and planning for 2011 and just relaxing and enjoying the sunshine, BBQ and a glass of wine from time to time. 

Yesterday morning I went to the beach with my camera and I realised again, how lucky I am to live here: 

 

 

 

 

 

 

 

So, stay tuned and have a happy and wonderful day!”   Beate