Nachdem ich ein paar Jahre in einem Buero gearbeitet habe, um unsere Finanzlage zu retten und den Europa-Urlaub vom letzten Jahr zu finanzieren, habe ich nun schweren Herzens diesen Job aufgegeben, um mich wieder der Selbstaendigkeit und der Kreativitaet zu widmen. Eingesperrt in einem Buero und festgeklebt an einem Stuhl, fuehlte ich mich wie ein Fischlein ohne Wasser. Nun habe ich also meine “Freiheit” wieder und sollte mich eigentlich darueber freuen, aber ich setze mich selbst ein wenig unter Druck, ein neues Einkommen zu schaffen.
Vor zwei Jahren hatte ich schon einmal angefangen, aber natuerlich mit einem Vollzeit Job nicht genuegend Zeit fuer beides. Nun erwecke ich diese Inspirationen vom Dornroeschenschlaf. Die Idee ist, frische und kuenstliche Blumengestecke an Unternehmen, Bueros, Show Homes, Restaurants usw. zu vermieten und die Gestecke regelmaessig auszutauschen. Dazu einen Geschenke Service mit hand-gemachten und sinnvollen Geschenken plus Decoration fuer events, Weihnachten und Inneneinrichtung. Natuerlich geht das alles nicht so schnell, wenn man einen kleinen Hang zum Perfektionismus hat.
Zuerst musste ich die Webseite, die ich vor zwei Jahren anfing, auf den neuesten Stand bringen und vor allem wieder online schalten. Da ich ja alles selbst mache und kein Computerexperte bin, ist das nicht so einfach und man kann das alles nicht mal soeben zwischendurch machen. Ich kam von einem Problem zu naechsten.
Erst dauerte es eine Woche, meine alte Webadress zu re-aktivieren, dann brauchte der Provider 24 Stunden, die Seite zu veroeffentlichten. Und dann waren da noch die Texte (English ist immer noch kompliziert!) und die Potos. Die sollten natuerlich toll aussehen. Was brauchte ich also? Zuerst einmal schoene Blumengestecke als Muster. Dann investierte ich mein ausgezahltes Urlaubsgeld in die Schoenheiten aus China, raste zum Grosshaendler, kaufte eine Kiste voller super echt aussehender Seidenblumen, dann musste ich die entsprechenden Vasen finden und, und, und. Die Photos konnte ich wiederum erst machen, als es aufhoerte zu regnen, anschliessend mussten diese bearbeitet werden und so ging ein Tag nach dem anderen ins Land.
Mit den Photos endlich auf der Website konnte ich die neuen Flyers entwerfen und zur Druckerei schicken, was wiederum zwei Wochen dauerte, bis die endlich geliefert wurden. Die Idee war, dass ich mit den Flyern und ein paar Musterblumen persoenlich zu groesseren Firmen und Bueros gehe, mich vorstelle und meine Blumen anbiete. Klingt doch super, oder?
Wenn da nicht diese kleine „schuechterne“ Charaktereigenschaft waere…. Der Gedanke ans „Klinkenputzen“ versetzt mich schon in absoluten Stress und koennte eine Panikattacke ausloesen. Viel lieber wuerde ich mich in einer kleinen Hoehle (oder Garage) verstecken, dort Blumen basteln und einen professionellen Verkaeufer-Typ losschicken, der einem Eskimo einen Kuehlschrank andrehen kann. Ich haette auch kein Problem, einfach nur meine Sachen im Internet anzubieten. Aber so funktioniert das natuerlich nicht. Nein, jeder sagt mir, „Du musst da persoenlich hin, Du bist Dein bester Verkaefer, Du kennst Deinen Service am besten. Geh los und verkaufe Dein Image!“ (mit einem imaginaeren Tritt ins Hinterteil!)
Well, das widerstrebt so sehr meiner Natur. Ich bin absolut kein Verkaeufer-Typ!!!!!. Im Gegenteil. Ich gehe jedem geschulten Verkaeufer aus dem Weg. Deswegen funktioniert bei mir auch kein „Laufschema“, das in grossen Geschaeften in jahrelanger Kundenbeobachtung ausgearbeitet wurde. Wo der normale Kauefer am Eingang einer Boutique nach rechts schwenkt zu den Sonderangeboten, biege ich schnurstracks nach links ab, so weit weg von der Verkaeuferin wie moeglich, damit die gar nicht erst auf die Idee kommt, mir eine kurze Hose und ein traegerloses Oberteil schmackhaft zu machen – und schon gar nicht in den neuen Sommerfarben: neon-pink und neon gelb!.
Der Gedanke, einfach und froehlich mit ein paar Blumen unterm Arm, einem Prospekt in der Hand und einem lustigen Lied auf den Lippen in ein Unternehmen zu marschieren und mich der Rezeptionistin mit Bulldogen-aehnlichen Charakterzuegen auszuliefern ist mir ein absolutes Graeuel! Da kann ich nachts nicht mehr schlafen.
Dann kam mir die Idee, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen und den gleichen „fiktiven“ Unternehmerkunden einen Geschenk-Service anzubieten. Geschenkkoerbe, Blumen und Delikatessen. Man will sich ja als erfolgreiches Unternehmen nicht Lumpen lassen, wenn es um „vernuenftige“ Weihnachtsgeschenke fuer lang ausgenutzte Mitarbeiter und neu aquirierte Grosskunden geht. Da darfs ja schon was kosten.
Tagelang habe ich die Konkurrenz im Internet ausspioniert und mir von meiner gut situierten Freundin ein paar teure Delikatessen und echten Champagner ausgeliehen. Diese Produkte sind ueblicherweise nicht in unserem Inflations-Warenkorb enthalten, und ich wollte auch nicht unsere komplette Finanzlage zum Schaukeln bringen, um ein paar Muster-Photos zu schiessen. Nachdem meine Freundin mir grosszuegigerweise, aber auch unter Eid, ihre Franzoesischen Pastetchen, die Italienische Salami, handgefertigte Schokolaedchen und delikat verpackte Trueffelpralinchen ausgehaendigt hat, musste ich diese zuersteinmal geschickt getarnt vor meiner ausgehungerten Familie verstecken. Diese Burschen haetten sich gleich darueber hergemacht, alle Dosen, Glaeser und Pakete aufgerissen und sich vermutlich anschliessend beschwert, dass es nicht schmeckt.
Aber bis zum Photoshoot kam es gar nicht, weil ich durch Zufall auf einer anderen Neuseelaendischen Webseite gesehen habe, dass man eine Alkohol-Lizens braucht, um auch nur eine einzige, winzige Flasche Wein in einem Geschenkkorb zu verkaufen. Was fuer ein Disaster!
Nach ausfuehrlichem Studium der Neuseelaendischen Gesetzgebung und den verwirrenden Regeln des Auckland Councils, wuerde diese Lizenz absolut meinen Investitonsrahmen sprengen. Das Verfahren dauert einige Wochen, der Antrag wird in der Zeitung veroeffentlicht, damit die Nachbarn und die Konkurrenz Einspruch einlegen koennen. Dann kommt noch jemand raus, um den Ort (der Tat) zu besichtigen. Man muss unter Eid schwoeren, dass man nix Alkoholisches an Minderjaehrige verkauft, keine Parties und keine Orgien mit Alkoholausschank anzettelt und schon gar keinen Schnaps am Ostersonntag verkauft. Darauf steht die Todestrafe!
Hier musste Plan B her!
Also wieder zuerueck zu den Anfaengen und noch mehr Research im Internet. Und was soll ich sagen? Resultat: Ich habe festgestellt, dass man auch Geschenke ohne Alkohol verkaufen kann, aber natuerlich auch ohne Delikatessen. Das eine scheint mit dem anderen historisch verknuepft zu sein. Denn ein Fresskorb ohne „Saufen“ ist wie ein Wagen ohne Raeder.
Der Vorteil alkoholfreier Geschenke ist, dass ich dann auch nicht meine hochheilige Garage mit einer Selbstschussanlage verteidigen muss, zum einen gegen meine hungrigen Familienangehoerigen und zum anderen gegen minderjaehrige Alkoholiker.
Nein, ich mache nun etwas ganz anderes! Ich drapiere dreistoeckige Torten und Cupcake Sets aus Handtuechern, bastele thematische Geschenkboxen mit Einkaufsgutscheinen und konstruiere Farm-Fahrzeuge aus Baby-Windeln.
Na, was sagt man denn dazu? Das ist mein Plan B! Und dann war ich wieder eine Woche busy und musste all diese Babywindeln besorgen (unter den pruefenden Blicken der Supermarktkassen-Schwadron – Uerbergewicht oder schwanger?). Ich habe gestapelt, geklebt, gesteckt und gebunden, hier ein paar Schleifchen, da ein paar Stecknadeln, 20 meter Geschenkband, ein paar ausgeschnittene Blumen aus Tapetenmustern, 37 Spielzeugtiere, Tuell, Federn, Plastikfolie und eine neue Kiste mit kuenstlichen Blumen…
Und noch eine Woche spaeter habe ich meine Musterphotos fertig und kann diese auf meiner Webseite einarbeiten. Die Texte, die Groessen, die Preiskalkulation, die Verkaufsargumente, das alles wird vermutlich noch eine weitere Woche dauern…. also noch kein „Klinkenputzen“ in Sicht. Und auch noch kein weisses Pferd in Sicht, auf dem ein professioneller Verkauefer-Prinz mit sexy Statur und italienischem Akzent vor reitet, um mich zu retten.
Nach einer weiteren schlaflosen Nacht, kam mir die Idee noch einen Blumenstrauss zu fertigen, um die Bulldogen vor Ort und gleich beim ersten Gespraech von der Schoenheit dieser echt wirkenden Blumenpracht zu ueberzeugen. Leider waren mir die Blumen ausgegangen und so musste ich gestern mal wieder zum Grosshaendler fahren. Und –wie immer- kauft man ein paar Bluemchen hier und da mehr, als man eigentlich braucht. Man weiss ja nie…
Heute sitze ich nun erneut am Computer und meine To-Do Liste wird immer laenger anstatt kuerzer (im Unterbewusstsein vielleicht nur, um den Augenblick der Konfrontation und der absoluten Panik ein wenig in die Zukunft zu verschieben?). In meiner letzten schlaflosen Nacht, die Dank der koeniglichen Katze, heute morgen um halb fuenf ein jaehes Ende fand (die Nacht – nicht die Katze!), hielt mich der Gedanke wach, was ziehe ich denn bloss an?
Wie muss man denn aussehen, wenn man erfolgreich verkaufen will? Mini-Rock und hohe Schuhe, oder was Gebluemtes mit Rueschen und Spitzchen, passend zum Produkt? Neutral schwarz, um nicht von den Blumen abzulenken? Oder vielleicht mal neutrales Beige, um das Image ein wenig aufzuhellen, oder pink und purple – Ton in Ton mit meinem Musterstrauss? Du liebe Guete, ich glaube ich drehe durch!
Und dann ist da noch das Problem mit der Figur! Es gibt nichts Schoenes in meiner Groesse, schon gar nichts Schoenes in meiner Groesse, das bezahlbar ist. Und ich habe nichts im Schrank, was mir passt. So schnell kann ich nicht abnehmen. Ich glaube ich esse heute mal nix. Aber irgendwie habe ich Hunger. Vielleicht eine Saft-Kur. Ich habe gelesen, man kann easy 48 Tage nur von frisch gepresstem Saft leben (wenn man genug Zeit und Geld und Obst und Gemuese hat). Und natuerlich, wenn man sonst nichts zu tun hat. Weight Watchers vielleicht? Aber dann wird man da einmal in der Woche vor allen Augen gewogen und die Waage ist noch schrecklicher als die zu Hause und dann ist es einem peinlich und man will nirgendwo mehr hingehen. Jetzt koennte ich eine Tuete Chips essen…. Aber davon sind die Waden schon so dick geworden, dass die Winterstiefel vom letzten Jahr nicht mehr zu gehen. Wieso eigentlich? – verstehe ich ueberhaupt nicht. Die paar Kilo…. Aber wenn die Stiefel nicht passen, kann ich auch den Rock nicht anziehen. Rock und flache Schuhe geht ueberhaupt nicht zusammen. Das sieht so altbacken aus. Aber dann brauche ich auch noch eine neue Strumphose, falls die Stiefel jemals wieder zu gehen und der Rock nicht von den Motten gefressen wurde. Das wirft neue Probleme auf.
Seit Jahren habe ich vor, mich mal persoenlich bei den namhaften Strumpfhosenherstellungs-Direktoren zu beschweren. Es gibt keine bequemen Strumphosen fuer apfelfoermige Frauen unter 1.60m. WIESO denn bloss???? Was haben die denn fuer Models, wenn es um Grosse XXL geht? Selbst XXXXXXXL schneidet den Bauch in halb und die Fuesse haengen 50cm ueber. Was soll denn das bedeuten? Man weiss ja schon selber, dass die Idealfigur ein vernebelter Traum aus der fruehesten Jugend darstellt, irgendwie fuer immer verschollen – aber muss man sich von einer nagelneuen Strumphose den Magen halbieren lassen und die Fuesse miteinander verknoten, nur um ein paar kuenstliche Blumen an den Mann zu bringen?
Und hat man endlich so ein synthetisches Ding in muehseeliger Kleinarbeit ueber jedes Roellchen gezerrt und gegezogen, dann kann man weder ein- noch ausatmen. Zur Kroenung beissen sich die wildgewordenen Zaehne des zu engen Stiefelreissverschlusses im Nylon fest. Das wiederum verursacht eine atomare Kettenreaktion von Laufmaschen, die kein Troepfchen Uhu oder Nagellack mehr stoppen kann! Vielleicht mache ich davon mal ein Video und schicke es als Hilfe-Ruf zu allen Strumpf-Unternehmen oder ich veroeffentliche es auf Youtube. Diese Wunderwerke der Kunststoffindustrie sind hoechstens fuer einen Bankueberfall geeignet. Oder um ein Auto abzuschleppen oder den Keilriemen zu ersetzen, aber definitiv nicht, um sich im Floral-Business zu etablieren.
Das ganze Theater ist mir zu stressig. Ich glaube ich bleibe bei der schwarzen Hose, den schwarzen Halbschuhen, dem noch schwaerzeren Top und vielleicht eine dunkle Jacke… Ausserdem habe ich noch ein paar Tage Zeit darueber nachzudenken.
Denn bevor ich ueberhaupt losgehen und meine Blumenpracht anbieten kann, muss ich noch die Geschenke auf meiner Webseite anpreisen, die Texte bearbeiten, eine neue Business Facebook Page zaubern, genaue Preise kalkulieren, einen Begruessungsspruch erfinden, alle moeglichen Einwaende und Argumente einer Bulldogge mit einem entprechenden Kontra-Argument im Keim ersticken, mein Auto waschen und polieren, die Garage aufraeumen, die Terrasse winterfest machen, Henry bei den Hausaufgaben helfen, sein Fahrrad reparieren, alle Rechnungen bezahlen, meiner Freundin die unverspeisten Delikatessen zurueckgeben, die Katze fuettern und all die anderen Punkte erledigen, die sich noch auf meiner To-do Liste befinden.
Lange Rede – kurzer Sinn. Ich muss jetzt mal hier weiter machen, sonst werde ich nie Verkaeufer des Jahres, Strumpfhosen-Modell, Bankraeuber, Computerexperte oder erfolgreich!